Es gibt im optischen Entstehungsprozess einer Fotografie keine Unterscheidung zwischen analog und digital. Man könnte von fotochemischer und fotoelektrischer Bildaufzeichnung sprechen. Warum also im Zeitalter des digitalen Fortschritts noch analog fotografieren? Steckt hinter dem Aufwind für die analoge Fotografie eine romantische Sehnsucht oder ist mehr dahinter? Ich habe mehrere Gründe zusammengetragen, die für die analoge Fotografie sprechen.
Erleben, Fühlen, Design
Das Produktdesign mancher heutiger digitaler Kameras zielt vielfach auf eine Verallgemeinerung und Massentauglichkeit. Die technischen Geräte sehen, bei Abstand betrachtet, alle ähnlich aus und bieten umfangreiche Menüs und Einstellmöglichkeiten. Dabei möchten wir Fotografen mit einem solchen Gerät an der Hand individuell sein und arbeiten. Jeder der ein mechanisches Gerät in den Händen hält, spürt dieses Gerät sozusagen. Es findet ein Erleben statt.
Hier werden Sinne bedient, die man mit einer vollautomatischen digitalen Ausrüstung kaum erfahren wird. Mit einer analogen und mechanischen Fototechnik ist es unglaublich befriedigend, wenn am Ende ein Foto herauskommt, das alles in sich hat. Es ist Handwerk und es ist individueller. Ein belichteter Film gibts nur einmal, ein digitaler Sensor ist immer derselbe Bildräger für jedes weitere Foto. Von Anfang bis zum Ende ist es also mein Werk. Darin liegt einer der Reize der analogen Fotografie. Es ist etwas für Geduldige, es ist etwas für Romantiker und Abenteurer, die sich auch einmal auf Risikos einlassen wollen. Es ist gewiss anstrengender. Die Belohnung ist eine mentale Befriedigung und Glück, das man fühlen kann.
Nostalgie und Wertigkeit
Dass Früher nun alles besser gewesen sein soll, würde ich nicht behaupten. Doch vor vierzig Jahren waren gewisse Mechanismen klarer nachvollziehbar. Und dies lässt sich auch bei analogen bzw. mechanischen Kameras feststellen. Da spricht man von „Wertarbeit“ und muss sich auch nicht wundern, wenn solche Fototechnik auch heute – nach Jahrzehnten – immer noch funktioniert und sogar gefragter ist denn je.
Das Motiv neu erleben
Die analoge Arbeitsweise erzwingt Ruhe, Konzentration auf den fotografischen Prozess und die Auseinandersetzung mit dem Sujet. Durch das in der Digitalkamera integrierten Display ist man geneigt, die Abbildung des Motivs sofort zu prüfen. Automatisch werden mehrere Aufnahmen gemacht und vergleicht diese noch vor Ort wie ein wahrer Kontrolleur. Am Ende wählt man zuhause am Bildschirm eines der erzeugten Bilder aus. Dabei war es vielleicht nicht einmal dasjenige, welches man vor Ort fühlte und in diesem Moment den Auslöser betätigte. Durch diesen Prozess merkt man gar nicht, wie man sich so vom tatsächlichen Motiv entfremdet.
Bei der Analogfotografie hingegen ist der fotografische Vorgang viel schneller abgeschlossen. Man packt die Kamera nach ein, zwei Aufnahmen wieder ein und freut sich schon auf das spätere Foto. Das fotografische Motiv bleibt also weiterhin ein solches. Später jedoch erlebt man eben jenes Motiv sozusagen ein zweites Mal – Nämlich wenn der Film aus der Entwicklung kommt und den magischen Moment geniesst, ihn auf das Leuchtpult zu legen, um die Aufnahmen zu bewundern.
Hochwertige Ergebnisse
Insbesondere mit Mittelformatkameras und Grossformatkameras sind sehr hochwertige Bildergebnisse möglich, die in unterschiedlicher Weise dem digitalen überlegen sind. Solche Technik und Kameras war früher viel teurer. Heute ist das aber nicht mehr so und das macht es sogar zugänglicher.
Ich selbst fotografiere im Bereich Grossformat mit einer 6x17 Panoramakamera sowie im 4x5". Aber auch das kleinere Mittelformat 6x45 benutzte ich ab und zu.
Verlangsamung
Die analoge Fotografie scheint auch deswegen bei vielen Anklang zu finden, dass sie zur „Entschleunigung“ zwinge. Tatsächlich muss man auch beim Anfertigen einer durchdachten Fotografie mit einer Digitalkamera als Werkzeug ebenfalls Ruhe bewahren. Nur ist es mit einer rein manuell bedienbaren Kamera aufwendiger, also weniger zeitsparender, ein technisch gutes Bild zum Beispiel einer Landschaft zu machen, als mit modernen Digitalkameras.
Der Look
Für mich persönlich ein ganz wichtiger Grund pro analog. Eine analoge Fotografie besteht aus Filmkorn und vielen winzigen organischen Partikeln. Vermutlich ist es gerade dieser analoge Look, der manchmal nicht eindeutig präzise und nicht an einen festen (Pixel)-Raster ausgerichtet ist was viele begeistert und es sichtbar und spürbar macht. Vor allem die Art und Weise, wie Film auf Licht reagiert, die Tonwerte nicht-linear zu erfassen und die Lichter über einen sehr langen Bereich noch trennen zu können, einen charakteristischen analogen Look ausmachen und eine organische Ästhetik verleiht. Das ist dasselbe wie mancher Musikfreund sehr gerne zur Vinyl-Schallplatte greift. Ich spreche auch oft von einer Plastizität gleichbedeutend mit einer Dreidimensionalität mit weichen Charakter. Perfekt auf Papier gedruckt, sieht man alle diese Qualitäten!
Spannend ist auch zu beobachten, dass in vergangenen Jahren immer häufiger mit unterschiedlichen "Filtern" oder anderen Techniken versucht wird einen Look nachzubilden der an die analoge Charakteristik erinnert. Es gibt Scripts oder Photoshop-Aktionen um Film-Looks aus digital aufgenommen Bildern zu erzeugen. Dies verdeutlicht, dass der analoge Look Qualitäten mitbringt, welche uns als Fotografen, Künstler, und auch Betrachter von Bildern schon seit Jahrzehnten berührt.
Bildqualität
In grossen Formaten hat Film gegenüber der aktuellen Digitaltechnik bei der Einzelbildaufnahme immer noch ein grösseres technisches Potential in Bezug auf Bildqualität (z. B. Farbumfang/Tonalität). Wenn man das analog aufgenommene Foto digital weiterverarbeitet, ist aber eine hochwertige Digitalisierung essentiell, um den analogen Charakter des Bildes möglichst zu erhalten. Um diesen Anspruch zu verfolgen, ist der Gesamtaufwand deutlich grösser.
Fazit
Die analoge Fotografie bringt einfach ganz viele positive Eigenschaften. Das bedeutet aber nicht, dass man mit digital nicht tolle Fotografie erstellen oder dass digital schlechter, unkreativer oder weniger künstlerisch ist! Die Kunst in der digitalen Fotografie besteht darin, sich nicht zuviel von der Technik abnehmen zu lassen. Falls man dies nämlich tut (und seine eigenen Augen, seine Konzentration und seine Kreativität zu Hause lässt), fertigt man bestenfalls Gebrauchsfotografie an – austauschbar und seelenlos. Schuld ist dann aber nicht die digitale Technik – Schuld hat immer der Mensch hinter der Kamera. Sehr gute Fotografen werden sowohl analog als auch digital herausragende Fotos machen. Und beim Einsatz beider Techniken deren Vorteile zu nutzen wissen.
Die analoge Fotografie stellt die Basis meines technischen und ästhetischen Verständnisses für meine Fotografie dar.
Für mich gilt eindeutig: Der Zweck bestimmt die Mittel. Deshalb habe ich nach wie vor eine digitale Kamera, wobei unterdessen die analoge Technik primär zum Einsatz kommt. Trotzdem weiss ich beide Technologien zu schätzen. In meiner künstlerischen Fotografie gibt es jedoch Bildideen, die ich in der gewünschten Qualität nur analog fotografieren kann.
Herzlich,
Oliver